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Google und die Reformation

Google und die Reformation

An Pfingsten feiern Christen, dass der Heilige Geist auf die Jünger Jesu herabkam. Plötzlich konnten sie fremde Sprachen verstehen und sprechen. Nichts weniger als die Überwindung des Traumas des Turmbaus von Babel sei dies, so interpretieren Theologen dieses Ereignis aus dem Neuen Testament. Hatte der alttestamentarische Gott noch den Turmbau verhindert, indem er die Sprache der Menschen verwirrte, "sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht", sie also voneinander trennte, brachte das Pfingstwunder die Jünger Gott näher.

Nichts Geringeres als ein technisches Pfingsten, könnte man sagen, verspricht in unseren Tagen die neue Netztechnik. Der Tag wird kommen, an dem mittels Glasfaserkabeln und Übersetzungssoftware die Menschheit sich vernetzen, verständigen und ins Quasi-Göttliche erweitern könnte.

Ist das nun gefährlich oder großartig? Was macht es mit uns, wenn Gott zugeschriebene Eigenschaften wie Allwissenheit und Allgegenwart nun Suchmaschinen wie Google und mächtigen Netzwerken wie Facebook zugerechnet werden? Da braucht man schon reformatorisches Gedankengut, um die Allmachtsfantasien der Unternehmen aufzudecken. Denn: Was wir jetzt im Netz erleben, hat durchaus mit dem zu tun, was vor 500 Jahren passiert ist. Luther hat weder Demokratie noch Pluralismus im Kopf gehabt, als er seine 95 Thesen entwarf, aber er hat die Denkmuster einer Welt gesprengt, in der Gesellschaft und Individuum einem Alleindeutungsanspruch unterlagen: dem der katholischen Kirche. Vom evangelischen "Priestertum aller Gläubigen" bis zur Übernahme von Verantwortung des Einzelnen in Staat und Gesellschaft ist es kein allzu weiter Weg. Mit Luther begann auch der Aufschwung des Buchdrucks, die Reformation hat nur in Ländern mit einer Druckerei geklappt. Dank der medialen Verbreitung hat sich das neue Gedankengut, die Idee der gleichberechtigten Auseinandersetzung auf Augenhöhe, nicht mehr unterdrücken lassen. Was vor 500 Jahren Buchdruck und Flugblätter waren, sind heute das Internet und die sozialen Medien.

(Nur Gott, nicht Facebook, darf den Menschen wirklich kennen!)

Die Internetmonopolisten agieren wie die mittelalterliche katholische Kirche.  Aufgrund ihrer Alleinherrschaft über Daten und Kommunikationsprozesse wissen sie alles über ihre Nutzer, nun zwar nicht wegen der Beichten der Gläubigen, sondern durch exzessives Datensammeln. Zudem sind die Konzerne ähnlich intransparent wie die Kirche. Dabei darf doch nur Gott - nach Psalm 139 - die intimsten Geheimnisse der Gläubigen kennen.

Was passiert aber, wenn Experten wie Informatiker als Priester von heute mit ihren Algorithmen den Lauf der Welt bestimmen? Das ist insofern gefährlich, als dahinter ein problematisches Menschenbild steht. Vorgehensweisen wie die Berechnung zukünftigen Verhaltens mithilfe Big Data und gezieltes Werbe-Targeting widersprechen der christlichen Idee des freien und selbstbestimmten Menschen, der jeden Tag neu anfangen kann.

Hier sind Religion und Kirche gefordert, hier muss - im Jahr des Reformationsgedenkens! - Widerstand kommen.

Nur humane und zivilisierte Kommunikation kann Grundlage eines gelungenen Miteinanders sein.

nachzulesen bei:  Johanna Haberer, „Digitale Theologie, Gott und die Medienrevolution der Gegenwart“, Kösel Verlag, 2015

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